Wählerisches Essverhalten und Neophobie

von nutrilini Team

NEOPHOBIE

Eine normale Phase im Entwicklungsprozess von Kindern ist die des Misstrauens gegenüber unbekannten Lebensmitteln. Dieses Misstrauen kann sich in Form einer Neophobie zeigen (Gutknecht et al., 2017). Die Lebensmittelneophobie ist eine für das Kindesalter spezifische Vermeidungs-/Restriktionsstörung. Sie beschreibt eine Abneigung vor dem Probieren neuer Lebensmittel und die mangelnde Bereitschaft, neu eingeführte Geschmacksrichtungen oder eine unbekannte Konsistenz und/oder Farbe von Lebensmitteln zu akzeptieren. Die starken emotionalen Reaktionen, die durch den Kontakt mit unbekannten Lebensmitteln ausgelöst werden, und die Tatsache, dass die Behandlung auf der Gewöhnung an das angstauslösende Objekt beruht, bestätigen, dass es sich um eine Phobie handelt. Lebensmittelneophobie entwickelt sich am häufigsten in einem Alter von zwei bis sechs Jahren (Łoboś & Januszewicz, 2019). Bei der entwicklungsbedingten Neophobie handelt es sich wahrscheinlich um ein Schutzverhalten. Das Kind ist sich unsicher, ob ein Lebensmittel sicher für den Verzehr ist (Gutknecht et al., 2017). 

Wählerisches Essverhalten

Die Neophobie muss von einem wählerischen Essverhalten unterschieden werden (Łoboś & Januszewicz, 2019). Wählerisches Verhalten ist typisch für Kinder im Alter von etwa 2-3 Jahren. Es dient zur Manifestierung von Autonomie. Eine wählerische Haltung ist nicht auf den ersten Kontakt mit einem Lebensmittel beschränkt, sondern kann auch dann auftreten, wenn es bereits bekannt und akzeptiert ist. Wählerische Kinder sind nicht so resistent gegen neue Geschmacksrichtungen, sondern haben generell eine Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel. Bei wählerischen Kindern ist häufig auch die Menge der verzehrten Lebensmittel stärker begrenzt, als bei neophobischen Kindern (Łoboś & Januszewicz, 2019). Es kann auch passieren, dass das Lieblingsessen plötzlich nicht mehr schmeckt. Das kann auf ein weiteren Schutzprogramm hindeuten, das vermeiden will, dass Kinder zu einseitig essen und dadurch Nährstoffmängel erleiden (Gätjen & Keller, 2020). 

Obwohl es sich bei Neophobie und wählerischem Essen um unterschiedliche Verhaltensweisen handelt, ähneln sie sich. Beide Verhaltensweisen können durch ähnliche Einflussfaktoren auf die Geschmacksprägung verbessert werden. Dazu gehören das Vermeiden von Druck, elterliche Praktiken und soziale Einflüsse. Erwachsene können unter anderem durch das Verzehren der abgelehnten Lebensmittel eine Vorbildfunktion einnehmen (Lafraire et al., 2016). Das Verhalten des sozialen Umfelds hat also einen entscheidenden Einfluss. 

Kindgerechte Mahlzeitengestaltung

Geschmack

Kinder haben oft eine Abneigung gegen bittere und saure Lebensmittel. Um die Akzeptanz von Mahlzeiten zu erhöhen, kann es nützlich sein, unbeliebte Lebensmittel mit Lebensmitteln und Geschmäckern zu kombinieren, die Kinder gerne mögen. Dazu gehören umami, süß, salzig und energiedichte Komponenten. Das Anbieten von geschnittenem Gemüse mit einem Dip ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, da das Dippen vielen Kindern Spaß macht (Gätjen & Keller, 2020). 

Praxisbeispiele

Textur

Variation ist nicht nur geschmacklich wichtig, sondern auch im Hinblick auf verschiedene Texturen. So kann allein das Erfühlen der Textur die Akzeptanz für Lebensmittel erhöhen. Dies ist auch ein  Grund, wieso es  helfen kann, Kinder direkt in die Küche mit einzubeziehen (Blossfeld et. al, 2007).  So werden Geruch und Textur bereits kennengelernt, ohne direkt mit dem Essen konfrontiert zu werden. Kinder haben außerdem nicht nur geschmackliche Präferenzen, sondern auch in Bezug auf die Textur des Lebensmittels (Harris, 2008). Säuglinge zeigen häufig mehr negative Reaktionen mit verschiedenen Texturen, wobei Kleinkinder diese häufig bevorzugen (Lundy et. al. 1998). Falls ein bestimmtes Lebensmittel also abgelehnt wird, kann es hilfreich sein, dieses mit einer anderen Textur erneut auszuprobieren. 

Praxisbeispiel

  • Gekochte Kartoffel
  • Kartoffelbrei
  • Ofenkartoffel
  • etc. 

Übersichtlichkeit auf dem Teller und Autonomie

Ab einem Alter von zwei Jahren versuchen Kinder vermehrt selbst zu entscheiden, welche Lebensmittel gut und sicher sind. In diesem Alter, bis ca. sechs Jahren, präferieren Kinder eine übersichtliche Zusammenstellung von Mahlzeiten. Deshalb ist es hilfreicher, einzelne Komponenten zuzubereiten, die klar voneinander trennbar sind, bspw. Kartoffelbrei mit Erbsen und vegetarischen Fischstäbchen. Kinder essen diese Komponenten häufig gerne nacheinander. Um das Autonomiebedürfnis des Kindes in diesem Alter zu erfüllen, bietet sich ein Buffet aus verschiedenen Komponenten an, aus denen das Kind selbst wählen kann (Gätjen & Keller, 2020).

Lieblingsessen und Verzicht auf Bewertung

Es hilft außerdem, das Lieblingsessen immer genau gleich zuzubereiten, sodass Geschmack und Aussehen identisch bleiben. Wenn ein bisher beliebtes Gericht plötzlich nicht mehr sicher scheint und deshalb abgelehnt wird, ist es hilfreich, dieses Verhalten nicht zu bewerten. Ein abwertender Kommentar nimmt dem Kind möglicherweise die Motivation, neue Lebensmittel zu erkunden  (Gätjen & Keller, 2020). 

Kinderteller mit einzelnen Komponenten

Quellen

Blossfeld, I., Collins, A., Kiely, M., & Delahunty, C. (2007). Texture preferences of 12-month-old infants and the role of early experiences. Food Quality and Preference, 18(2), 396-404.

Gätjen, E. & Keller, M. (2020). Vegane Kinderernährung: Gut versorgt in jeder Altersstufe : mit über 100 Rezepten. Ulmer. 

Gutknecht, D., Höhn, K. & Maddalena, G. de. (2017). Essen in der Kinderkrippe: Achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten (1. Auflage). Verlag Herder. http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-epflicht-1259739 

Harris, G. (2008). Development of taste and food preferences in children. Current Opinion in Clinical Nutrition & Metabolic Care, 11(3), 315-319.

Lafraire, J., Rioux, C., Giboreau, A. & Picard, D. (2016). Food rejections in children: Cognitive and social/environmental factors involved in food neophobia and picky/fussy eating behavior. Appetite, 96, 347–357. https://doi.org/10.1016/j.appet.2015.09.008

Łoboś, P. & Januszewicz, A. (2019). Neofobia żywieniowa u dzieci [Food neophobia in children]. Pediatric endocrinology, diabetes, and metabolism, 25(3), 150–154. https://doi.org/10.5114/pedm.2019.87711

Lundy, B., Field, T., Carraway, K., Hart, S., Malphurs, J., Rosenstein, M., … & Hernandez‐Reif, M. (1998). Food texture preferences in infants versus toddlers. Early Child Development and Care, 146(1), 69-85.

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